Guten Morgen alle zusammen. Die Schuhe sind ausgelüftet. Ich bin gestärkt – das Frühstück im Gasthof Kurpfalz war wunderbar und ich nun voller Tatendrang. Das ist auch besser so, denn ich habe heute mal wieder eine Strecke von 27 Kilometern auf dem Radar. Erschwerend hinzu kommt, dass ich wahrscheinlich erst am frühen Nachmittag wegkomme. Ich habe einiges zu tun: Bürgermeister, Presse, Unterwäsche kaufen, und alte Wäsche nach Hause schicken. Auf geht’s.
Ab ins Rathaus. Der Oberbürgermeister heißt Dirk Elkemann. Er ist terminlich stark eingebunden, sagt die Mitarbeiterin im Vorzimmer. Als ich ihr erzähle, dass ich viele, hunderte Kilometer gelaufen bin, um Herrn Elkemann zu treffen, signalisiert sie mir, dass sie einen Termin anbahnt. Inzwischen laufen die Hochzeitsvorbereitungen im Rathaus. Ein Pärchen möchte sich heute das Ja-Wort geben. Die Gäste laufen aufgeregt herum und scharren vor dem Büro des Oberbürgermeisters mit den Füßen. Es scheint auch als Trauzimmer zu fungieren. Nach einer viertel Stunde begrüßt Herr Elkemann mich und erklärt, er nimmt sich ab 13 Uhr Zeit für mich. In der Zwischenzeit habe ich schon bei der Presse angerufen und in Herrn Rößler einen interessierten Redakteur getroffen. Ich überbrücke die etwa anderthalb Stunden Wartezeit und mache mich auf den Weg in die Redaktion. Dort werde ich sehr freundlich empfangen und Herr Rößler nimmt sich viel Zeit für mich, wofür ich sehr dankbar bin. Der gerechte Ausgleich für den verpatzten Pressetermin in Weinheim. Wie in Heidelberg erzähle ich von meinen Erlebnissen und Begegnungen. Und der Redakteur nickt zustimmend und füllt eine Seite nach der nächsten mit Informationen. Als er fertig ist, begibt er sich an seinen Rechner und schreibt los. Ich frage, ob ich meinen Rucksack in der Redaktion parken kann und mache mich auf den Weg zu C und A, um mir ein paar T-Shirts und Boxershorts zu besorgen. Hier in Wiesloch gibt es nach meiner Erkenntnis kein Waschcenter. Und selbst wenn, hätte ich heute nicht die Zeit, um Wäsche zu waschen. Ich habe Besorgungen erledigt und warte nach meiner Rückkehr noch eine gute halbe Stunde in der Redaktion, bis mein Telefon klingelt und OB Elkemann bereit ist, uns zu empfangen. Ich habe ihn darauf vorbereitet, dass ich einen Journalisten mitbringe. Das ist für Dirk Elkemann kein Problem. Auf dem Weg zum Rathaus werden Redakteur Armin Rößler und ich von einer Praktikantin begleitet, die sich die Begegnung zwischen den beiden Läufern aus nächster Nähe ansehen möchte. Denn es stellt sich raus, dass OB Elkemann vor seiner Zeit als Oberbürgermeister als Extremsportler unterwegs war. So lief er als Finisher beim Ironman Hawaii 1996 ins Ziel, nahm am Marathon des Sables 2000 (Ultramarathon) teil, sowie am Fuji Mountain Race 2006. Sehr beeindruckend.
Im Beisein der Presse erklärte ich meine Ambitionen und freute mich, wieder mit einem sehr ambitionierten Oberbürgermeister sprechen zu können. Herr Elkemann erzählte davon, dass es in Wiesloch die erste Tankstelle der Welt gibt, eine Apotheke, an der Bertha Benz ihr motorisiertes Vehikel einst betankte und ihre Reise fortsetzte.
Städte und Regionen lebten nun mal von der Verwertung von Ideen und Anekdoten. Die Reise von Glückstadt nach Freudenstadt kam ebenfalls gut beim Verwaltungschef der Stadt Wiesloch an:
Nach einem Pressefoto und seinem Eintrag ins Glückstädter Glückwunschbuch, überreicht mir Dirk Elkemann noch ein persönliches Geschenk – eine Flasche Wieslocher Spitzenberg – ein halbtrockener Weißwein, den ich bei meiner Rückkehr in Glückstadt mit meiner Frau genießen werde.
Ich bedanke mich und mache mich auf den Weg zur Post, wo ich den guten Tropfen und meine Wäsche versandfertig mache und nach Hause sende.
Jetzt ist es 15 Uhr. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. 27 Kilometer liegen vor mir. Ich rufe in der Unterkunft an und erkläre, dass ich (hoffentlich) um 21 Uhr Uhr da sein werde. Dann setze ich mich in Bewegung. Nach ein paar Kilometern, exakt an dieser Stelle zeigt mein Navi noch an: 99 Kilometer bis nach Freudenstadt.
Aufregung. Ein unbeschreibliches Gefühl. Eine Freudenträne löst sich in meinem rechten Auge und kullert mir die Wange runter. Ich habe es bald geschafft. Und dann eine Strecke hinter mich gebracht, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen vor ein oder zwei Jahren nicht hätte vorstellen können. Wahnsinn.
Es geht weiter. Mir fällt diese Werbung ins Auge. Eine wirklich gute Idee: Ob Reiseunternehmen oder Dienstleister mit beratungsintensiven aber wenig haptischen Produkten – Infoabende veranstalten und damit in der Stadt werben. So kann man auf sich aufmerksam machen. Kostet wenig, fällt aber bei guter Frenquenz auf.
Ich laufe ein eine erhöhte Geschwindigkeit und gegen die Zeit. Die Sonne sinkt unaufhaltbar. Und bei mir sinkt die Stimmung. Denn einige Kilometer weiter stehe ich mal wieder vor einem Problem:
Rechts abbiegen ist nicht. Es ist halb Neun und das Navigationssystem zeigt jetzt schon an, dass ich nicht vor 22 Uhr ankommen werde. Es ist nichts zu machen. Ich nehme den Umweg von mindestens einer halben Stunde in Kauf.
Es sieht auch nach einer weiteren Premiere aus: Abendbrot vor Erreichung des Ziels. Ich kehre in einer Dönerbude ein, da ich Energie brauche. Die Eiweißrationen, die ich mir vorhin verabreicht habe, neigen sich dem Ende und ich brauche Nachschub. Ich rufe beim Gastwirt an und teile ihm mit, dass ich mich um mindestens zwei Stunden verspäten werde. „Kein Problem“, höre ich am anderen Ende. Das beruhigt mich.
Nach dem Verzehr eines vegetarischen Döners und einem Ayran fühle ich mich wieder fit. Und weiter geht’s. Schritt für Schritt in Richtung Ziel aber auch in Richtung Dunkelheit.
Es dauert nicht lange, da beginnt die Nacht die letzten Sonnenstrahlen zu verschlucken.
Und bald schon laufe ich durch Feld und Wald in gänzlicher Finsternis. Etwas schimmert der Mond durch das Geäst. Und ich habe eine kleine LED-Taschenlampe dabei, durch die ich zumindest sehe, in welche Richtung der Weg sich schlängelt. Über eine Stunde bewege ich mich durch die Dunkelheit, bis ich die Stadt betrete und mich über dieses Vehikel amüsiere:
Ich habe es fast geschafft. Noch zwei Kilometer. Gegen 22.45 Uhr erreiche ich die einzige Gästeunterkunft im Ort, die Pension Eissler. Die Dusche zum Greifen nah. Endlich.
Raus aus den Klamotten, rein ins heiße Naß und dann ab in die Federn. Ich bin völlig erledigt heute, Freunde. Morgen gönne ich mir eine Pause, bevor es übermorgen nach Pforzheim geht.
Gute Nacht und
Herzliche Grüße aus Bruchsal
Marian